„Tag der Testimonials“ – Wie wir die Wirkung unseres individuellen Engagements vervielfachen

Der Schauspieler und Regisseur Bjarne Mädel ist vielen aus Fernsehserien wie „Stromberg“ und „Tatortreiniger“ bekannt. Nun lernen wir ihn von einer ganz anderen Seite kennen: als Botschafter („Testimonial“) der UNO Flüchtlingshilfe, der – wie andere Prominente auch – auf das Schicksal von Geflüchteten aufmerksam macht. Dazu heißt es auf der Website der UNO Flüchtlingshilfe: „Diese Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Branchen schaffen Bewusstsein für die Situation von Geflüchteten weltweit.“

Diese Rolle nimmt man Bjarne Mädel sofort ab, denn er kann nicht nur Comedy: In einem bewegenden Reel zur UNHCR-Kampagne auf Instagram erzählt der Schauspieler eine kurze Geschichte aus seiner Kindheit, wo er zusammen mit anderen sofort handelte, um jemanden vor dem Ertrinken zu retten. Das macht ihn auch als Testimonial der UNO Flüchtlingshilfe glaubwürdig – die wichtigste Eigenschaft von Botschafterinnen und Botschaftern.

Foto: Nahaufnahme einer Pusteblume vor grau-blauem Hintergrund.

Auch Klima-Botschafterinnen und Klima-Botschafter vergrößern den Impact ihres eigenen Tuns – in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis, in der Nachbarschaft, im Sportverein und auch am Arbeitsplatz. Getreu dem Prinzip „Pusteblume“ wird auf diese Weise Einzelnes vervielfacht. Hierzu möchte der heutige „Tag der Testimonials“ motivieren. Denn eine Möglichkeit, für den Klimaschutz zu werben, ist ganz einfach: Werden Sie Botschafterin oder Botschafter der „mission E“, und werben Sie mit Ihrem Gesicht und Ihrem Namen für das Klimaschutzanliegen des Landes!

Die soziale Dimension des individuellen Engagements

Wenn ein Kind, eine Kollegin oder ein Fremder sieht, dass wir die Treppe nehmen, anstatt mit der Rolltreppe oder dem Aufzug zu fahren, zeigt das: Energiebewusstes Verhalten hat nicht nur eine individuelle Dimension, sondern oft auch eine soziale. Denn unser persönliches Verhalten kann auch beim Klimaschutz dazu führen, dass andere es uns gleichtun – und ebenfalls die Treppe statt des Aufzugs nehmen, eine Fahrgemeinschaft gründen, ein „Balkonkraftwerk“ installieren oder ein Elektroauto anschaffen. Oft nämlich braucht es nur einen kleinen Stups, eine Initialzündung, ein Vorbild. Jemanden, der uns zeigt: Wir können Dinge tatsächlich anders machen, und diese vermeintlich kleinen Veränderungen tun meist gar nicht weh.

»Vorbilder nehmen uns auch die Angst vor Veränderungen: Sie zeigen, dass „anders“ eben nicht gleichbedeutend ist mit „schlechter“, sondern dass das Neue, das Ungewohnte oft Besseres verheißt.«
Tom Küster
Foto: Solarpanele eines Balkonkraftwerks an einem Mehrfamilienhaus.
Ein schickes Balkonkraftwerk, das die Stromkosten und CO2-Emissionen senkt und die Energie-Autonomie erhöht, kann in der Nachbarschaft Neugierde wecken und als Vorbild dienen.

Tatsächlich gibt es verschiedene soziale Hebel, um den Klimaschutz-Impact unseres persönlichen Tuns zu vervielfachen. Damit dies gelingt, ist allerdings auch hier die eigene Glaubwürdigkeit entscheidend: Um andere zu bewegen, sich klimabewusst zu verhalten, müssen wir bei uns selbst den Anfang machen – „Walk your talk!“, wie es im Englischen heißt. Wenn ich selbst übers Wochenende nach Mallorca fliege, bin ich unglaubwürdig, wenn ich andere für die Nutzung des ÖPNV begeistern möchte. Es ist schwer, immer klimabewusst zu handeln, und das können und müssen wir auch nicht; krasse „Fehltritte“ erkennen unsere Mitmenschen aber schnell. Ein möglichst kleiner, zumindest kein überdurchschnittlich großer CO2-Fußabdruck ist deshalb hilfreich, wenn wir andere für den Klimaschutz ins Boot holen wollen.

Wenn wir soziale Hebel nutzen, um unseren Beitrag zum Klimaschutz zu vergrößern, verringert das zwar nicht den eigenen ökologischen Fußabdruck, aber es vergrößert den CO2-Handabdruck (ein Konzept, das auf Germanwatch zurückgeht) – und dieser Handabdruck ist nach oben offen, er kennt keine Grenzen. Mit Blick auf die Wirksamkeit und Relevanz des persönlichen Handelns ist es also wichtig, nach Hebeln zu suchen, bei denen wir andere mitnehmen und unseren CO2-Handabdruck vergrößern. Es ist mehr als ein Nebeneffekt, dass die Idee des Handabdrucks eine wichtige psychologische Komponente hat: Das Konzept des CO2-Fußabdrucks kann das Gefühl der Vergeblichkeit oder gar Hoffnungslosigkeit vermitteln; beim Handabdruck dagegen überwiegt das motivierende Gefühl der Selbstwirksamkeit: Wir können etwas ausrichten und wirklich etwas bewegen!

Die Tabelle zeigt Beispiele dafür, wie man seinen CO2-Fußabdruck verringert und den CO2-Handabdruck vergrößert.
Klimaschutz „mit Hand und Fuß“ – beispielhafte Maßnahmen

Individuelles Verhalten und soziale Normen

Wir können sogar zu wirklich großen Veränderungen beitragen. Wir wissen zwar aus der Psychologie: Soziale Normen beeinflussen die Motivation und das Verhalten des Individuums sehr stark, weil sie so etwas wie ein Skript sind für situativ angemessenes und unangemessenes Handeln. So geben wir uns zur Begrüßung die Hand oder einen Kuss auf die Wange, anstatt unserem Gegenüber die Hand zu küssen oder die Wange zu streicheln. Umgekehrt aber, und auch das lehrt uns die Psychologie, können selbst Einzelne den Weg für neue soziale Normen ebnen – und soziale Normen langfristig sogar verändern.

Schauen wir uns eines der berühmtesten Beispiele für den Einfluss an, den eine einzelne Person auf soziale Normen der Gesellschaft haben kann. Fast auf den Tag genau vor 70 Jahren, am 1. Dezember 1955 steigt eine 42-jährige Frau in Montgomery, Alabama in einen Bus und setzt sich. Kurz darauf ruft der Busfahrer den Schwarzen zu, sie sollen den Weißen Platz machen, die just eingestiegen sind. Doch die 42-Jährige bleibt sitzen. Der Fahrer reagiert ungehalten: „Wirst Du aufstehen?“ Die Frau verneint. Darauf erwidert der Busfahrer: „Nun, dann werde ich Sie verhaften lassen.“ Sie entgegnet: „Das können Sie tun“.

Der Name der Frau war Rosa Parks, und „ihr Protest“, so schreibt der niederländische Historiker Rutger Bregman, „war der Auslöser für einen massiven Busboykott, angeführt von dem damals unbekannten Reverend Martin Luther King“. Rosa Parks‘ Satz „You may do that“ gilt als Chiffre der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung; ihre Weigerung, den Sitzplatz zu räumen, wurde „zu einem der berühmtesten Momente in der amerikanischen Geschichte“ (Rutger Bregman 2024, S. 89).

Foto: Portrait von Rosa Parks im hohen Alter - mit grauen, hochgesteckten Haaren und einer großen Brille.
„You may do that“ – Rosa Parks‘ Aufbegehren als 42-Jährige in einem Linienbus wurde zu einem der berühmtesten Momente in der jüngeren US-amerikanischen Geschichte.

Soziale Normen und der Klimaschutz

Nun mag man einwenden: „Rosa Parks war einmalig.“ Das ist wahr. Dennoch haben wir alle so etwas wie ein „Parks-Gen“, das jederzeit aktiv werden und Veränderungen mitgestalten kann. Tatsächlich gibt es auch im Bereich des Klimaschutzes immer wieder Beispiele, die eindrucksvoll belegen: Zwischen sozialen Normen und individuellem Verhalten gibt es Wechselwirkungen. Zugegeben: Es braucht einen langen Atem, aber Einzelne können systemverändernd wirken – auch bei der Energiewende. Hierzu zwei Beispiele.

Ausgelöst durch eine Anzeige von Sabine und Wolf Dieter Drescher in einer Lokalzeitung, gründet sich 1987, im Sommer nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, im Schwarzwald eine Bürgerinitiative. Die selbst ernannten „Stromrebellen“ wollen ein „Störfall für den Atom-Lobbyismus“ sein: Sie reaktivieren kleine Wasserkraftwerke und unterstützen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in Blockheizkraftwerke und Photovoltaikanlagen investieren. Nach jahrelangen Kontroversen inklusive Bürgerentscheid um den örtlichen Energieversorger und Atomkraftwerksbetreiber wird 1994 die Elektrizitätswerke Schönau GmbH (EWS) gegründet. Schönau wird zu einem Symbol der Anti-Atomkraft-Bewegung mit bundesweiter Strahlkraft. Der Claim des Öko-Stromanbieters lautet noch heute: Klimaschutz mit Rebellenkraft.

Stichwort „Ökostrom“: Für unser Thema ebenfalls interessant ist die Frage, wie in Deutschland die Eigentümerstruktur der Erneuerbaren Energien aussieht. Nach Angaben der Agentur für Erneuerbare Energien hielten Privatpersonen (hierunter fallen auch Bürgerenergiegenossenschaften) im Jahr 2019 mit 30,2 % den größten Anteil an der bundesweit installierten Leistung zur regenerativen Stromerzeugung; hinzu kamen 13,2 % von Gewerbetreibenden und 10,2 % von Landwirtinnen und Landwirten. Das machte schon 2019 zusammen 53,6 % (bzw. 63,41 Gigawatt) der deutschlandweit installierten Leistung für die „Ökostrom-Produktion“, die es ohne die Motivationen, Initiativen und Entscheidungen von Einzelnen nicht geben würde.

»Der US-Amerikaner Cass R. Sunstein erforscht seit Jahrzehnten soziale Veränderungsprozesse. Der Verhaltensökonom unterscheidet in „zeroes“, die sich als erste auf den Weg machen, in „ones“ und „twos“, die losgehen, wenn ein oder zwei andere die Initiative ergriffen haben, und in „millions“, die erst losmarschieren, wenn viele andere den Weg bereits geebnet haben. Sunsteins „zeroes“ sind im Grunde nichts anderes als Einzelne, die einem Schwarm eine neue Richtung geben.«
Tom Küster
Foto: Nahaufnahme des Ladestutzens eines weißen Elektrofahrzeugs, das gerade geladen wird.
Beispiel Elektromobilität: Begünstigt durch politische Rahmenbedingungen haben individuelle Kaufentscheidungen zum Boom der Elektrofahrzeuge geführt.

Deutliche Mehrheit pro soziale Normen für den Klimaschutz

Gerade heutzutage sind die Voraussetzungen für Veränderungen „des Systems“ beim Klimaschutz besser, als man denken mag. So zeigt eine Studie aus dem Jahr 2024 mit knapp 130.000 Befragten, die repräsentativ ist für mehr als 90 % der Weltbevölkerung: Satte 89 % der Befragten fordern mehr politisches Handeln gegen die Klimakrise – auch im eigenen Land. Der Anteil derer wiederum, die soziale Normen für den Klimaschutz befürworten, beträgt im globalen Durchschnitt 86 %. In Worten: sechsundachtzig Prozent. Die Befürworterinnen und Befürworter sowohl des Klimaschutzes als auch sozialer Normen pro Klimaschutz sind also eindeutig in der Überzahl, weltweit und in Deutschland.

Dies unterstreicht auch das „Klimafaktenpapier“, das von sechs namhaften Institutionen gemeinsam herausgegeben wird (Deutsches Klima-Konsortium (DKK), Deutsche Meteorologische Gesellschaft (DMG), Deutscher Wetterdienst (DWD), Extremwetterkongress Hamburg, HelmholtzKlima Dialog-Plattform, Klimafakten). Dieses Papier fasst regelmäßig die Basisfakten zum Klimawandel zusammen, die in der Wissenschaft unumstritten sind. In der Neuauflage des Klimafaktenpapiers von November 2025 heißt es (auf Seite 27) erstmals auch: Die meisten Menschen wollen mehr Klimaschutz, der Klimaschutz hat eine „breite Unterstützung“. Die Gegnerinnen und Gegner sind eine laute, aber offenbar sehr kleine Minderheit.

»Das ist ein Silberstreif am Horizont. Ein Silberstreif, der uns zeigt, dass Veränderungen möglich sind – und der uns ermutigt, selber etwas zu diesen Veränderungen beizutragen, um im Angesicht der Klimakrise angemessen zu handeln.«
Tom Küster

Das Phänomen der „pluralistischen Ignoranz“

Wir dürfen nicht länger unterschätzen, wie groß die Bereitschaft zum Klimaschutz und wie hoch die Zustimmung zu Klimaschutzmaßnahmen auch in unserer Gesellschaft tatsächlich sind. Denn bei vielen Menschen gibt es hier offenbar eine Verzerrung der Wahrnehmung („perception gap“). Dieses Phänomen wird in der Sozialpsychologie – auf den ersten Blick etwas befremdlich – „pluralistische Ignoranz“ genannt, könnte aber auch „kollektive Wahrnehmungsverzerrung“ heißen. Pluralistische Ignoranz beschreibt eine Situation, in der eine Mehrheit eine Norm insgeheim ablehnt, aber fälschlicherweise davon ausgeht, dass diese Norm von der Mehrheit akzeptiert wird. Im Ergebnis äußert niemand offen seine Meinung, die eine vermeintliche Minderheitsposition ist, so dass die mehrheitlich abgelehnte Norm dennoch bestehen bleibt!

Prominentes Beispiel: Beim Klimaschutz sind viele Menschen zurückhaltend, weil sie irrtümlich annehmen, dass die anderen sich nicht engagieren möchten. In der oben zitierten, weltweiten Studie beispielsweise erklärten sich 67,9 % der in Deutschland befragten Personen bereit, ein Prozent ihres Einkommens für den Klimaschutz zu geben; gleichzeitig nahmen sie aber an, die allgemeine Bereitschaft dafür läge bei nur 39,5 % – eine folgenschwere Wahrnehmungsverzerrung, die eine reale Zweidrittelmehrheit auf eine gefühlte Minderheit schrumpfen lässt. Das gilt im Grundsatz nicht nur für Deutschland: Das folgende Diagramm belegt das Phänomen der pluralistischen Ignoranz für viele weitere Länder, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.

Das Koordinatensystem zeigt, dass in allen untersuchten Ländern die tatsächliche allgemeine Bereitschaft, ein Prozent des Einkommens für den Klimaschutz zu geben, höher ist als die vermutete Bereitschaft, dies zu tun.

Es fällt auf, dass die Punkte der einzelnen Länder in dem Koordinatensystem ausnahmslos (!) unterhalb der Diagonalen liegen: Überall ist die tatsächliche Bereitschaft, ein Prozent des eigenen Einkommens für den Klimaschutz zu geben, größer als die vermutete Bereitschaft, dies zu tun. Gehen wir deshalb der pluralistischen Ignoranz nicht auf den Leim, sondern in den empathischen Dialog: Sprechen wir offen über unsere Überzeugungen und Hoffnungen. Machen wir Klimaschutz zum Thema, hören wir zu, und zeigen wir Flagge – gerne auch als Testimonial der „mission E“.

»Von dem Philosophen Ernst Bloch stammt der vielzitierte Satz: Wir müssen ins Gelingen verliebt sein. Frei nach Bloch lässt sich etwas hoffnungsvoller formulieren: Wir dürfen ins Gelingen verliebt sein.«
Tom Küster

Die Energiewochen 2025 in der Landesverwaltung NRW

Der „Tag der Testimonials“ ist der letzte Thementag im Rahmen der Energiewochen in der Landesverwaltung, einer Initiative des Kampagnenteams der „mission E“, an der fast 50 Behörden mit Vor-Ort-Aktionen teilnehmen. Auf Beteiligung NRW finden Sie die Anmeldeformulare für die letzten zwei Veranstaltungen der Energiewochen: den Fachvortrag „Vorbildlich! – Wie wir andere beim Klimaschutz mitnehmen“ heute um 12 Uhr und die digitale Abschlussveranstaltung heute um 13 Uhr. In deren Rahmen werden auch die Gewinnerinnen und Gewinner des behördenübergreifenden Energiequiz‘ und des landesweiten Wettbewerbs „Wer löscht die älteste E-Mail?“ gekürt, den beiden Challenges der Energiewochen 2025.